Schüler sprechen mit Zeitzeugin über Pogromnacht 1938
GESCHICHTE Ellen Müller erlebte als Achtjährige die Gewaltmaßnahmen gegen Juden in Norden

NORDEN/ELA – Ellen Müller war damals ein Kind, acht Jahre jung – und doch kann sie sich heute noch gut an die Ereignisse in Norden in der Nacht des 9. auf den 10. November 1933 erinnern.Es war dieNacht, in der die Nazis die Synagogen im ganzen Deutschen Reich zerstörten. Die damals Achtjährige hörte das Brandhorn durch die Straßen schallen. Als sie aufgeregt auf die Straße lief, sah sie den Feuerschein in der damaligen Judenlohne, dem heutigen Synagogenweg. Elf Schülerinnen und Schüler des Ulrichsgymnasiums Norden, die Mitglied im Kurs„Relais de la Mémoire“ sind, befragten jetzt Ellen Müller, die Großmutter eines Teilnehmers des Kurses, Leo Müller.Die Schüler Lina Biebrich, Emili Schwarzkopf, Jannis Düngemann, Sophie Tietz, Leo Müller, Maike Becker, Ariane Uden, Frauke de Vries, Jasmin Grumme, Paula Morbach und Thore Borchert hatten sich im Vorfeld einen Fragenkatalog zusammengestellt. Ellen Müller, Jahrgang 1925, wohnte mit ihrer Familie zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und der Pogromnacht im Jahr 1938 im Neuen Weg. Die Müllers wohnten neben dem Haus der jüdischen Familie deLöwe.Ellen besuchte die Gräfin-Theda-Schule in Norden. Auch dort habe selbstverständlich der Nationalsozialismus Einzug gehalten: Die Schüler mussten die Fahne mit dem Hakenkreuz grüßen, viele Jungen waren Mitglied in der Hitler -Jugend (HJ), viele Mädchen im Bund Deutscher Mädel (BDM). Einige Lehrer seien stramme Nazis gewesen. In ihrer Klasse waren keine jüdischen Kinder. Während ihre Eltern und ihre zwei Schwestern zu Hause über Juden sprachen, wusste Ellen sehr genau, mit wem sie außerhalb des Hauses offen reden durfte und bei wem sie sich besser still verhielt. Auf der anderen Seite sei sie als Kind, wie viele andere auch, durchaus beeindruckt gewesen von Aufmärschen und Fackelzügen der Nazis. Die elf Norder Schülerinnen und Schüler interessierte vor allem das Geschehen während der Reichspogromnacht. Ellen Müller kann sich noch gut daran erinnern. Aufgeschreckt durch das Brandhorn sei sie auf die Straße gelaufen und habe den Feuerschein in der Judenlohne gesehen. Noch in der Nacht zum 10. November sei in die Häuser, in den Juden lebten, eingebrochen worden. Die Bewohner wurden drangsaliert. Am nächsten Tag sei sie während des Martinisingens in die Judenlohne gelaufen und habe hinter den Fenstern der jüdischen Schule viele Männer gesehen. Später sei erzählt worden, dass die jüdischen Männer zum Schlachthof geführt worden seien. Eindrucksvoll schilderte sie die Kriegszeit, die sie als junge Krankenschwesterschülerin in Wuppertal erlebte. Das Krankenhaus wurde bei einem Bombenangriff beschädigt und sie musste Patienten in den Keller bringen und Brandwunden versorgen. Ellen Müller erzählte den Schülerinnen und Schülern, mit welcher Angst sie die Bombenangriffe erwartete. „Zuerst sah man die Christbäume, dann kamen die Bomben.“ Auf die Frage, warum die Menschen damals nichts gegen die Nazis unternommen hätten, versuchte sie, den Jugendlichen den Zwiespalt zwischen Faszination und Angst vor Repressalien zu erklären. Die Furcht, im KZ zu landen, falls man etwas gegen die Nazis sagte, war groß. Am Ende des Gesprächs dankten die Schülerinnen und Schüler Ellen Müller für die Fülle an Informationen und Eindrücken, die sie erhalten hatten. Lina Biebrich: „Ein Zeitzeugengespräch macht den Geschichtsunterricht erst lebendig.“ Emili Schwarzkopf: „Man erfährt auch etwas über die Gefühle der Menschen, die zu dieser Zeit gelebt haben. Man kann sich besser vorstellen, wie es damals in Norden war.“

Entnommen aus dem Ostfriesischen Kurier vom 15.11.2017, Seite 4.